Das oberflächliche Verlangen und der schnelle Kick
Ein inspirierender Text von Joan Westenberg: Thin Desires Are Eating Your Life. Ich bin mir nicht sicher, wie ich thin desires und thick desires übersetzen soll. Es geht um menschliches Verlangen, Wünsche und Begierden. "Thin desires" können schnell befriedigt werden, sie sind flüchtig und oberflächlich, in dem Sinne, dass sie uns nicht nachhaltig zufriedener machen, sondern nur einen schnellen Kick verschaffen.
The desire to understand calculus versus the desire to check your notifications are both real desires, and both produce (to a degree) real feelings of satisfaction when fulfilled.
Auf der anderen Seite macht sie die "thick desires" aus. Tiefgehende, tiefschürfende Wünsche, die nicht schnell befriedigt werden können. Um solch substanzielles Verlangen zu befriedigen müssen wir langfristig Arbeit investieren, uns anstrengen und unsere Komfortzone verlassen. Auf dem Weg dorthin transformieren wir uns nachhaltig, wir lernen dazu und werden ein Stück weit zu einem anderen Menschen. Es ist die Befriedigung dieses Verlangens, dass uns nachhaltig zufriedener zurücklässt, nicht nur weil wir ein stärkeres Belohnungsgefühl empfinden, wenn wir die Früchte unserer Arbeit ernten, sondern auch, weil der Weg zur Belohnung Teil der transformativen Erfahrung ist.
Zumindest habe ich den Text so verstanden, bis sie mit dem Brotbacken anfängt. Brotbacken ist nicht besonders anstrengend und braucht auch nicht sehr viel Zeit. Aber die Hefe braucht Zeit zum Gehen, um nicht zu sagen, sie nimmt sich die Zeit. Die Hefe lässt sich nicht hetzen oder antreiben. Brotbacken verlangt uns einfach nur Geduld ab. Und wahrscheinlich ist genau das schon ein wohltuender Kontrast zum alltäglichen sinnentleerten Konsum flüchtiger Ablenkungen.
How could this be, when we've gotten so good at giving people what they want?
Maybe because we've gotten good at giving people what they want in a way that prevents them from wanting anything worth having.
Eines meiner Lieblingsbücher ist Starship Troopers von Robert Heinlein. In einer der interessantesten Stellen des Buches (Kapitel 6) referiert der Lehrer Mr. Dubois, kurz nachdem er sich über Marx und Das Kapital mokiert, über die Frage, ob Wert etwas Absolutes oder Relatives ist. Mr. Dubois gesteht Marx zu, dass er immerhin die Relativität von Wert verstanden hat. Er verdeutlicht diese Feststellung indem er der Hauptfigur Rico die Medaille für den 1. Platz im Hundermeterlauf verleiht um kurz darauf zu bemerken:
The best things in life are beyond money; their price is agony and sweat and devotion ... and the price demanded for the most precious of all things in life is life itself - ultimate cost for perfect value.
Im Sinne des thick desires muss, wer eine Medaille im Hundertmeterlauf bei den Olympischen Spielen gewinnen will, sein ganzes Leben darauf ausrichten, erfährt im Gegenzug aber ein großes Belohnungsgefühl und lebenslange Anerkennung. Im Unterschied dazu spricht Mr. Dubois von der Position eines Colonels der mobilen Infanterie vom ultimativen Einsatz des Soldaten, der auf Befehl sein Leben hergeben muss. Diesem armen Tropf bleibt leider jegliche irdische Belohnung verwehrt. Mit viel Glück erfährt er einen schnellen Kick.